“Building bridges, breaking barriers”, unter diesem Motto wurde dieses Jahr der erste Marathon in Teheran veranstaltet.
Als mein Bruder Nico am Anfang des Jahres mit der Idee auf mich zukam eine anstehende Geschäftsreise in den Iran mit einem Start beim Premieremarathon in Teheran zu verbinden, winkte ich nur müde ab, hatte ich doch eigentlich nur das SPINE RACE im Kopf und wollte danach das Jahr nach der langen Vorbereitungszeit nur noch mit 10 km bzw. höchstens Halbmarathonläufen läuferisch beenden.
Nach unermüdlichem Bohren und Organisierung der Kinderbetreuung sagte ich letztendlich doch zu und am 05.04.2017 ging es von Hamburg über Dubai nach Teheran, wo wir am nächsten Morgen übernächtigt ankamen.
Nach Besichtigung des weltgrößten Bazars und einer Ruhepause in einem Park in der Nähe des Hotels ging es zur Startnummernausgabe zum Azadi-Stadion, einer 100.000 Personen fassenden Arena.
Dort trafen wir auch schon auf die ersten Marathon-Weltreisenden aus China, Australien, Japan, Indien, Malediven, Polen, Österreich, Schweden, Deutschland und vielen anderen Ländern. Diese gibt es wirklich. Es wurde ganz selbstverständlich über Läufe in Nordkorea, Afghanistan, Irak, Abu Dhabi und anderen exotischen Ländern gesprochen. Auf die iranischen Läufer sollten wir erst am nächsten Morgen treffen. Angeboten wurde ein Voll- und Halbmarathon und ein 10 km Lauf.
Ich hatte mich für die volle Distanz angemeldet, Nico für den Halbmarathon.
Nach dem ersten Geschäftsmeeting ging es an dem Abend vor dem Lauf zeitig ins Bett, da der Start kurzfristig von 9.00 Uhr auf 7.00 Uhr vorverlegt worden war. Wieviele Starter letztendlich starten würden konnte man nicht in Erfahrung bringen, da es keine offiziellen Startlisten gab.
Am nächsten Tag ging es um 6.00 Uhr mit dem Taxi und Fan, einem chinesischen Läufer aus unserem Hotel, zurück zum Stadion. Über Nacht war dort ein Start- Zielbereich aufgebaut worden und es waren fast mehr Reporter und Kameraleute als Läufer in diesem Bereich. Sofort musste ich auch gleich für drei iranische Fernsehteams Interviews geben. Keine Ahnung, ob sie gesendet wurden.
Davon ausgehend, dass ich jetzt nur noch meine Wechselbekleidung abgeben bräuchte, ging ich in den Innenbereich des Stadions. Aber getäuscht, über Nacht war der Sponsor ausgetauscht worden und alle Läufer mussten ihre bereits vorhandenen Startnummern wieder auswechseln. Es war ein ziemliches Chaos und es wurden irgendwelche wilden Listen auf persisch ausgefüllt. Aber wie immer klappte letztendlich doch fast alles, jedenfalls für die männliche Läuferschar.
Neben dem Sponsor hatte sich in den letzten Stunden auch irgendwelche Staatsorgane gemeldet und es wurde bestimmt, dass die Frauen am Nachmittag nur noch getrennt von den Männern in einem 10 km Lauf starten dürften. Dies führte bei diesen natürlich zu Unmut und Enttäuschung.
Fast pünktlich um 7.15 Uhr gingen dann die Halb- und Marathonläufer auf die Strecke. Die Temperaturen lagen bei angenehmen 16-18 Grad.
Die ersten 2 km verliefen auf einer Stadionzufahrtsstraße, bevor sich das Läuferfeld die nächsten 10 km Richtung Azadi-Monument bewegte. Das Monument wurde zwischen 1969 und 1971 anlässlich des 2500-jährigen Jubiläums der iranischen Monarchie erbaut. Nach der Iranischen Revolution von 1979 wurde er von Shayad-Turm in Azadi-Turm umbenannt. Dort wurde wir von einer begeisterten Zuschauerschar begrüßt.
Ab Azadi-Monument sollte dann der schönere Teil der Strecke für die nächsten 11 km durch die Stadt gehen und ab dort auf der selben Strecke wieder zurück Richtung Ziel. Alle Läufer freuten sich bis zu diesem Zeitpunkt auf diesen Streckenabschnitt. Ich lief die meiste Zeit mit einem Berliner und einem Österreicher und wir tauschten Laufgeschichten aus.
Leider wurde aber über Nacht dieser Teil der Strecke gestrichen, da dieser zu nah an einer Moschee mit Gebetsvorplatz vorbeiging. Diese sind natürlich gerade an Freitagen von Gläubigen stark frequentiert.
Leicht überrascht, aber nicht verärgert, ging es also wieder zurück auf der Schnellstraße Richtung Stadion. Ich lernte Mahout, einen netten Läufer von den Malediven kennen, der aber nur auf der halben Distanz unterwegs war. Hauptgrund seiner Anmeldung war gewesen, dass er ansonsten kaum eine Chance auf ein Iranvisum gehabt hätte. Nebenbei erfuhr ich noch, dass es selbst auf diesem kleinen Inselstaat einen Marathonlauf gibt. Es ist ein acht Runden Lauf auf der Hauptinsel. Nach knapp 1:40:00 war die Halbmarathondistanz erreicht und es ging wieder alleine in die zweite Runde.
Das Feld war inzwischen schon recht dünn geworden. Ich schloss nach einiger Zeit zu einem Briten und einem Niederländer auf und man redete, dreimal darf man raten, über Lauferlebnisse, diesmal aus dem Ultrabereich, da sie beide Ultraläufer waren.
In Anbetracht der inzwischen eingetretenen Hitze, des Schlafmangels und des Trainingsdefizits der letzten Wochen traten nach 30 km die ersten Ermüdungserscheinungen auf. Die letzten 10 km begleitete mich Christian, ein deutscher Lokführer der Deutschen Bahn, der in Abu Dhabi arbeitet, bis in das Ziel.
Nach 3:26:20 überschritten wir gemeinsam und glücklich die Ziellinie. Dass die 42,2 km nicht ganz erfüllt wurden, konnte an so einem aufregenden Tag auch keinen mehr erschüttern. Lustigerweise bekam im Ziel jeder Läufer nicht die erhoffte Medaille, diese musste man sich in einem Hotel in unmittelbarer Nähe abholen, sondern eine Blankourkunde zum selber ausfüllen.
Im Zielbereich wartete schon mein Bruder Nico auf mich, der für seine Distanz 1:55:13 gebraucht hatte. Unglücklicherweise war er bei Kilometer 8 schwer gestürzt, hatte sich aber eisern ins Ziel gekämpft. Bereits bandagiert nahm er mich in Empfang.
Nach diversen Zielfotos mit einheimischen und ausländischen Läufern, sowie den iranischen Zuschauern verliessen wir glücklich wieder den Sportkomplex.
In Nachbetrachtung war es für mich ein Lauferlebnis der besonderen Art und ich habe jeden Meter dieser nicht ganz so spannenden Strecke genossen und war traurig, als alles vorbei war.
Zu erwähnen ist noch, dass sich eine Chinesin doch noch in das Männerfeld geschummelt hatte und dass acht Frauen, um auf die volle Marathondistanz zu kommen, vor ihrem 10 km Lauf am Nachmittag 32,2 km in Eigenregie gelaufen waren. Das ist wahrer Sport!
Durch den Startnummernaustausch war das Ergebnissystem komplett durcheinander geraten und man wurde inzwischen per Email darum gebeten Namen, Startnummer und Zielzeit durchzugeben. Ist aber eigentlich auch total egal.
Wie so oft hat sich für mich gezeigt, wie völkerbindend der (Lauf)sport sein kann und der Marathon hat für mich sein Motto erfüllt.
Teheran ist eine fantastische Stadt und ich habe nur freundliche und hilfsbereite Menschen dort kennengelernt.
Es wurde mir aber auch einmal wieder bewusst, dass Freiheiten, wie wir sie geniessen, nicht in allen Ländern selbstverständlich sind und man trotz aller positiven Eindrücke nicht zu unkritisch durch die Welt ziehen sollte.
Ich hoffe, dass der Lauf weiterhin Bestand haben und sich gegen vorhandene konservative Kräfte durchsetzen wird.
Vielleicht komme ich noch einmal wieder – Inshallah!